Samstag, 10. Juli 2010

Kinder, Schule




Die Kinder haben sich schnell eingelebt. Anfangs hatte ich Bedenken sie so ganz ohne Sprachkenntnisse im fremden Land in den Kindergarten zu schicken - besonders nach dem missglückten Versuch, den älteren, Yannick, in Deutschland schon mal an den Kindergarten zu gewöhnen. Nach zwei Wochen hatten wir diesen abbrechen müssen.
Am ersten Schultag (hier in Frankreich gehört der Kindergarten=école maternelle, 'mütterliche Schule' mit zum staatlichen Schulsystem, es gibt einen kostenlosen, garantierten Kindergartenplatz für jedes Kind ab 2 Jahre) brachten wir die Kinder dann mit gemischten Gefühlen und - unbegründeter - Sorge in die kleine Dorfschule. Heiko, der Jüngere, hatte angesichts der vielen Kinder und der vielen neuen Spielsache keine Augen mehr für uns und war sofort ins Spiel vertieft. Aber auch Yannick, etwas stiller und zurückhaltender als sein Bruder, fühlte sich gleich wohl und wollte schon nach einer kurzen Eingewöhnunsphase den Kindergarten ganztägig besuchen und mit den anderen Kindern in der Schulkantine essen. Die Betreuerinnen kümmerten sich auch sehr liebevoll besonders um die ganz kleinen Kinder, bei denen es immer wieder tränenreiche Abschiedsszenen gab. Ganz selbstverständlich nahmen sie die Kleinen auf den Arm oder den Schoss und versuchten geduldig, sie für die Spielsachen zu begeistern. Unsere Kinder lernten sehr schnell Grundkenntisse der französischen Sprache. Am Anfang hatte die Kindergärtnerin sich vor sie gestellt, auf die verschiedenen Körperteile gezeigt und ihnen jeweils den französischen Namen gesagt: "la bouche, le nez ..." und schon nach kurzem konnten sie mit den anderen kommunizieren. Zu Hause sprechen wir nur deutsch mit den Kindern, damit sie die deutsche Sprache nicht verlernen, bzw überhaupt erst einmal richtig lernen. Einige Dorfbewohner haben dafür kein Verständnis; sie meinen, um die Integration zu erleichtern, sollten die Kinder auch zu Hause nur französisch sprechen. Kann sein, dass diese Ansicht auch etwas für sich hat, aber die Chance, zweisprachig aufzuwachsen, hat nicht jedes Kind und die will ich unsern keinesfalls vorenthalten. In der ersten Zeit war ihr Deutsch vom Umgang mit uns Erwachsenen geprägt, dazu noch ein wenig vom deutschen Fernsehen. Entsprechend altklug hörte es sich an, wenn sie sich mit deutschen Campern unterhielten, sehr zu deren Amüsement. Das änderte sich jedoch schnell, je mehr sie Kontakt mit deutschen Kindern hatten; anfangs kamen sie ganz entsetzt angelaufen: "Mama, der eine Junge hat A...loch gesagt und Sch...!" Sie haben aber schneller, als uns lieb war, ihren Wortschatz entsprechend erweitert.
Im Kindergarten hat Heiko auch schnell gelernt, wie man sich - mit Hilfe der Gutmütigkeit der Betreuerinnen - das Leben so bequem wie möglich macht. Die Kantinenaufsicht kam einmal ganz verzweifelt zu mir und fragte, ob denn Heiko noch gar nicht selbständig essen könne. "Ich habe doch so viele Kinder zu betreuen, muss allen auftragen, das Fleisch kleinschneiden... und Heiko isst nicht; wenn ich vorbeikomme, macht er den Mund auf und wartet darauf, dass ich ihn füttere. Aber ich weiss einfach nicht, wie ich das alles schaffen soll..." Ich habe ihr dann erklärt, dass Heiko schon lange allein essen kann, aber wenn sich jemand findet, der ihn füttert...
Auch bei den Mädchen hat er gleich erfolgreich seinen Charme spielen lassen. Als ich einmal einer Mutter gegenüber erwähnte, dass einer meiner Söhne Heiko heisst, rief sie: "Oh, Heiko, ja den kennen wir bei uns zu Hause; unsere Kleine redet ständig von ihm..."
Nur sein Name bereitete den französischen Kindern einige Schwierigkeiten - so wurde des öfteren schon mal 'haricot' (Bohne) daraus. Da sein zweiter Vorname 'Marcel' von allen problemlos ausgesprochen werden konnte, ging er kurzerhand dazu über, nur noch Deutschen gegenüber (oder auch anderen nicht-französischen Gästen, die ihn auf deutsch ansprachen) sich 'Heiko' zu nennen; wenn ihn Franzosen nach seinem Namen fragten, hiess er 'Marcel' - wozu hat man denn schliesslich sonst die Auswahl? Diese Handhabe führte allerdings zu einiger Verwirrung bei der Schuluntersuchung, denn in den Unterlagen des Schularztes stand nur 'Heiko'...
Yannick schloss anfangs etwas langsamer Freundschaften, hat aber inzwischen - besonders seit er das Lycée (Gymnasium) besucht, schon mehr Kontakte als sein Bruder. Wenn er zu Hause ist, fliegen seine Finger ständig über die Handy-Tastatur; nicht mal beim Essen wird der SMS-Austausch mit den Freunden unterbrochen.
Auf dem Collège war er einer der beiden gewählten Vertreter seiner Klassenstufe für den 'Conseil Général des Jeunes', in dem den Jugendlichen ein Einblick in die politische Arbeit vermittelt wird. Für die Sitzungen 1 - 2 mal pro Monat hatte er unterrichtsfrei und wurde mit dem Taxi zu Hause abgeholt und am Abend wieder gebracht. So lernen die Jugendlichen auch gleich den entsprechenden Lebensstil kennen. Einmal im Jahr steht dann auch eine Reise nach Paris auf dem Programm, um die Luft der 'grossen Politik' zu schnuppern.
Die für die 'politische Arbeit' verpassten Schulstunden haben ihm nicht geschadet, er war zur Collège-Zeit meistens Klassenbester. (Schade, dass es so schwer ist, jüngere Geschwister zu motivieren, dem leuchtenden Vorbild des älteren Bruders nachzueifern!) Jetzt im Lycée hat er immer noch genauso gute Noten, aber ein paar seiner neuen Mitschüler sind noch besser; das scheint ihn jedoch nicht zu stören er hat keine 'Streberambitionen'.

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